Sachsen und Böhmen – Große Europäische Musiktraditionen

Seit Jahrhunderten gab es weder Grenzstreitigkeiten noch gar größere Kriege zwischen Sachsen und Böhmen. Vielleicht war dies ein Grund, weshalb dort die Künste blühten. Der Hof in Dresden war katholisch – wie es der böhmische Hof war. Leipzig jedoch, als geistig offene und eher bürgerliche Stadt der Messe, war hauptsächlich protestantisch. Hier in Leipzig schuf Thomaskantor Johann Sebastian Bach seinen Kanon der protestantischen europäischen Kirchenmusik. Schon vor ihm waren die drei großen “Sch…” – Schein – Scheidt – Schütz – weit mehr als seine sächsischen Vorgänger.

Bach komponierte nicht nur Kirchenmusik. Er schrieb seine “Englischen Suiten” und “Französischen Suiten”, seine Deutschen “Partiten” – und Italienische Konzerte. Ähnliche Formen benutzte er in seinen Orchesterkompositionen. So war er einer der Ersten, welche den gemeinsamen Grund der europäischen Musik – als auch ihre vielfältigen nationalen Besonderheiten – aufzeigte und in sein Werk integrierte. Dass er zumeist böhmisches Papier für sein Komponieren benutzte, ist nur ein anderes interessantes Detail.

An der Dresdner Kathedrale (der Kirche des sächsischen Hofes), wirkte ziemlich zur gleichen Zeit der böhmische (natürlich katholische) Komponist Jan Dismas Zelenka aus Prag! Es ist nicht bekannt, ob sich beide großen Komponisten jemals trafen. Aber Bach kopierte zumindest einige Werke seines böhmischen Kollegen.

Auf beiden Seiten des Erzgebirgskamms gibt es unzählige Kirchen und Klöster, Burgen und Schlösser, mit einer reichen Musikgeschichte. Für Jahrhunderte kamen Musiker aus ganz Europa hierher ins Herz des Kontinents. Und böhmische und sächsische Musiker verließen ihre Heimat und brachten ihre Traditionen hinaus in die Welt. Die Biografien einer bemerkenswerten Anzahl von Komponisten sind tief verbunden mit Sachsen und Böhmen – Schütz und Vejvanovský, Bach und Zelenka, Naumann und Mysliveček, Schumann, Dvořák, Smetana, Wagner, Suk, Janáček, Reger oder Martinů – und viele andere.

Beethoven besuchte die nordböhmische Kurstadt Teplice zu verschiedenen Gelegenheiten, komponierte dort auch Teile seiner Symphonien. Mozart rief aus “Meine Prager verstehen mich”, und Mendelssohn war Direktor des Gewandhaus-Orchesters in Leipzig – wo er als Erster Kompositionen von Bach wieder aufführte. Weber arbeitete in Prag und Dresden. Seine deutsche Nationaloper “Der Freischütz” spielt in Böhmen! Und auch Mahler verbrachte seine Kindheit in Böhmen und Mähren – bevor er später Kapellmeister in Leipzig und Prag wurde. Noch in seinen Wiener Jahren kehrte er oft in sein früheres Heimatland zurück.

Ulrich Backofen, zutiefst fasziniert vom Reichtum sächsischer wie tschechischer Musik und den musikalisch-kulturellen Traditionen beider Länder, gründete 1992 das Sächsisch Böhmische Musik Festival. Für zehn Jahre – in den Sommern zwischen 1993 und 2002 – wurde das Festival zumeist im nordböhmischen Teplice und in der Dresdner Kreuzkirche festlich eröffnet. Siebzig weitere Konzerte folgten in drei Wochen und wurden zu kulturellen Höhepunkten in zahlreichen Städten Sachsens und Böhmens. Sie zogen Besucher aus der Region wie aus aller Welt an. Minister und Botschafter vieler europäischer Staaten waren Ehrengäste des Festivals. Sogar Königin Beatrix der Niederlande nahm (als höchste Vertreterin des jährlich wechselnden Gastlandes) am Eröffnungskonzert in Dresden teil. Das Sächsisch Böhmische Musik Festival, welches 2003 mit einem anderen Festival zusammengelegt wurde, ist inzwischen Teil der Sächsisch-Böhmischen Musik- und Kulturgeschichte. “Die Festival-Dokument liegen in der Sächsischen Staats- und Universitätsbibliothek, im Dresdner Stadtarchiv, ebenso in der Regionalbibliothek von Teplice und im Stadtarchiv von Ústi nad Labem” – sagt Ulrich Backofen. “Natürlich sind all diese Eindrücke ein wichtiger Teil meines Lebens und meiner Biografie. Ich möchte auch in Zukunft dazu beitragen, das Gefühl wiederherzustellen für die riesigen gemeinsamen Erfahrungen von klassischer Musik in ganz Europa – für ihren überwältigenden Reichtum an stilistischer und inhaltlicher Vielfalt – und ganz besonders etwas zu den großen Sächsisch-Böhmischen Musiktraditionen.”